Samstag, 18. Februar 2012

Presseschau:"Wulff ist lebendes Mahnmal für kommende Politiker"

Presseschau

"Wulff ist lebendes Mahnmal für kommende Politiker"

Sich von Macht, Geld und Glamour korrumpieren zu lassen, lohnt sich nicht: Das ist das Fazit der "Aachener Zeitung" nach dem Wulff-Rücktritt. Auch andere Medien gehen in den heutigen Pressestimmen mit dem Ex-Bundespräsidenten hart ins Gericht: Sie werfen ihm vor allem vor, nicht mit offenen Karten gespielt zu haben.

"Der letzte Schritt kam spät und geschah nicht mehr aus eigener Einsicht, sondern weil er unabwendbar war", schreibt die "Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung". "Ein Staatsoberhaupt unter Anklage, ein Präzedenzfall im Schloss Bellevue. Als Vorbild hat Christian Wulff versagt. Er war nicht der Präsident der 'Bunten Republik Deutschland', die er nach seiner Wahl proklamierte, sondern nur noch der 'Bunten'. Ein Günstling der Bussi-Bussi-Gesellschaft, der sich lieber von Finanzjongleuren und Filmsternchen umflattern ließ, als nah bei den Bürgern zu sein. Seine windigen Affären hat er nicht aufgeklärt, sondern mit juristischen Winkelzügen vernebelt. Staatsanwälte werden nun endgültig Licht in den Graubereich von Wulffs Welt bringen, wo Freundschaften zu reichen Gönnern und Geldgebern womöglich ungute Abhängigkeiten geschaffen haben."

Die "Aachener Zeitung" sieht es so: "Wulff ist nun lebendes Mahnmal für kommende Politikergenerationen: Leute, lasst Euch nicht korrumpieren von Macht, Geld und Glamour. Irgendwann rächt es sich bitter! Das ist die Botschaft des Tages."

In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ist zu lesen: "Gescheitert ist Wulff letztlich daran, dass er und seine Verteidiger, ob absichtlich oder nicht, Maßstäbe verschieben wollten: was wir dem obersten Repräsentanten des deutschen Staates glauben sollen, was sich in der Politik gehört, was der Würde des Amtes angemessen ist. Am Ende dieser Werterelativierung, gegen die es ausgerechnet im bürgerlichen Lager mitunter erstaunlich wenig Widerstand gab, war man beim politisch-moralischen Mindeststandard angelangt: Einen Rechtsbruch könne man dem Bundespräsidenten bisher ja nicht nachweisen. Wulffs Glaubwürdigkeit war am Schluss so beschädigt, seine Möglichkeiten zur Einwirkung auf den Diskurs in Politik und Gesellschaft so zusammengeschrumpft, dass er trotz gegenteiliger Absichtsbekundungen nur noch zurücktreten konnte."

"Wulff hat in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident hundert Kleinigkeiten angehäuft, von denen fast jede einzelne für sich genommen eine Lächerlichkeit war", fasst die "Süddeutsche Zeitung" zusammen. "Allerdings waren unter ihnen auch ein paar Vorgänge, die bei einer unter Aufsicht eines CDU-geführten Justizministeriums stehenden Staatsanwaltschaft in Hannover jenen Anfangsverdacht weckten, der eine Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten erfordert hätte. Ein Mann, der sich in dieser Weise verdächtig gemacht hat, kann nicht mehr Bundespräsident sein. Wulff fehlte die Einsicht, dies rechtzeitig zu erkennen. Mehr noch: Ihm mangelt es offensichtlich an Bewusstsein dafür, was man in einem herausragenden öffentlichen Amt nicht tun darf, auch wenn es formell keinen Gesetzesbruch darstellt."

Die Zeitung "Die Welt" glaubt: "Es hätte gut sein können, dass Wulff die Affäre im Amt überstanden hätte, wenn er nur von Beginn an mit offenen Karten gespielt, wenn er das schwere Gewicht all dieser Kleinigkeiten erkannt, wenn er sich als der kleine Sünder zu erkennen gegeben hätte, der er offensichtlich ist. Doch das tat er nicht. Versagt hat er im Amt des ersten Mannes im Staate, hier hat er die größten Fehler gemacht. Er hat keinen reinen Wein eingeschenkt, hat verzögert, geschwiegen und stur auf die Kraft der Vergesslichkeit gesetzt. Damit ist er kleiner geworden von Tag zu Tag, ist vom Amtsinhaber zum Privatier geschrumpft."

Die "Nordsee-Zeitung" aus Bremerhaven kritisiert die eigene Zunft: "Manches, was zu hören und zu lesen war, klang bisweilen pharisäerhaft. Wer selber Journalistenrabatte in Anspruch nimmt, ist in dieser Frage als Kritiker disqualifiziert."

Die "Tageszeitung" aus Berlin macht eine Zeitenwende aus: "Die Deutschen tolerieren keine Korruption mehr. Dies ist die eigentliche Nachricht der Affäre Wulff. Die Deutschen konnten nicht verzeihen, dass er seine Ämter missbraucht hatte, um sich als Schnäppchenjäger zu betätigen. Diese deutsche Aversion gegen Korruption ist neu. Offenbar hat sich die Gesellschaft gewandelt, ohne dass die Eliten dies bemerkt hätten. Warum reagieren die Bürger neuerdings so allergisch auf Korruption und Betrug? Es ist die zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Als noch jeder vom Wirtschaftswachstum profitierte, wurde die Korruption akzeptiert. Doch seit die Armut steigt, wirkt es wie Hohn, wenn die Privilegierten ihre Privilegien ausnutzen."

Die "Neue Presse Hannover" würdigt auch Verdienste: "Tiefe Spuren hat Wulff nicht hinterlassen, dazu war seine Amtszeit zu kurz. Doch sein Einsatz für mehr Integration, für ein offenes Deutschland sollte in Erinnerung bleiben - und nicht mit Wulff in der Versenkung verschwinden. Hier gibt es noch viel zu tun."

Die "Mitteldeutsche Zeitung" macht in der Ankündigung der Kanzlerin eine Machtperspektive aus: "Ein möglicher Nachfolger oder eine Nachfolgerin soll nun ausdrücklich mit den Stimmen der Opposition gewählt werden. Darin liegt eine Chance - auch und gerade für Merkel. Wie schon öfters könnte die Bundesversammlung, die nach den letzten Landtagswahlen keine klare Mehrheit mehr aufweist, zur Anbahnung neuer Machtverhältnisse auch in der Bundesregierung dienen. Auf die FDP muss keine Rücksicht mehr genommen werden. Sie hat ihre Zeit als Regierungspartei eigentlich bereits hinter sich. Die Union wird mittelfristig nur an der Macht bleiben, wenn es ihr gelingt, mit SPD und Grünen ein Einvernehmen zu finden. Das böte Anknüpfungspunkte für neue Koalitionen nach der nächsten Bundestagswahl."

"Natürlich bleibt von der beschädigten Amtsführung auch etwas an der Bundeskanzlerin hängen", resümiert die "Märkische Oderzeitung" und führt weiter aus: "Wulff war ihr Kandidat, ihr verdankte er seinen Platz im Schloss Bellevue, auch wenn es dazu drei Wahlgänge in der Bundesversammlung brauchte. Nun ist er Angela Merkel vor die Füße gefallen. Auf dem Höhepunkt von Macht und Ansehen muss sie sich herablassen, um mit der Opposition bei der Kandidatensuche den geeigneten Nachfolger zu finden, der nicht gleichzeitig eine politische Aussage in eine bestimmte Richtung ist. Er soll nicht für rechts oder links stehen, sondern dieses Land repräsentieren."

Die "Braunschweiger Zeitung" hat ihren Favoriten bereits gefunden: "Wie man es dreht und wendet, einer überragt alle: Joachim Gauck, der unterlegene Kandidat von 2010, wird schon jetzt von einem großen Teil der Union, von SPD, Grünen und FDP aus voller Überzeugung getragen. Von den Bürgern sowieso. Nur Merkel fürchtet, mit dieser Wahl einzugestehen, dass sie vor 20 Monaten einfach auf den falschen von zwei Kandidaten gesetzt hat. Aber ist das nach all dem Ärger mit Wulff zu viel verlangt? Merkel sollte über ihren Schatten springen und im breiten Bündnis Gauck ins Rennen schicken."

Die "Schwäbische Zeitung" aus Leutkirch bringt weitere Namen ins Gespräch: "Der frühere Bundesumweltminister Töpfer ist immer noch da. Und in der Union gibt es auch noch den intellektuell hervorstechenden Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Beide wären erste Wahl."

Das "Flensburger Tageblatt" hält sich mit konkreten Namen zurück, schlägt aber vor: "Eine Frau als Bundespräsidentin, das wäre ein Signal. Und rückte die immer noch von Männern dominierte Politik ebenfalls zurecht."

Abschließend macht sich die "Frankfurter Rundschau" Gedanken über Wulffs Zukunft: "Eine zweite Chance hat auch er verdient. Er müsste uns allerdings überraschen, zum Beispiel mit einer ganz unprätentiösen Erklärung etwa dieser Art: 'Bundespräsidenten erhalten nach dem Ende ihrer Amtszeit einen stattlichen Ehrensold und genießen andere Privilegien. Da ich nicht einmal zwei Jahre im Amt war und erst Anfang 50 und gesund bin, möchte ich für meinen Lebensunterhalt selbst sorgen und nicht die Steuerzahler auf Jahrzehnte hinaus belasten.' Respekt, Herr Wulff, könnten wir dann sagen. Aber das wird wohl nichts."

(Zusammengstellung: Deutschlandfunk)

Stand: 18.02.2012 09:41 Uhr

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