Montag, 12. März 2012

Jetzt sind Bsirske & Co noch mehr gefordert: Gewalt oft aus Hilflosigkeit

12.03.2012, 16:25 Uhr

Umfrage: Hälfte der Eltern in Deutschland schlägt ihre Kinder

Berlin (dpa) - Ein kräftiger Schlag auf den Po oder eine schallende Ohrfeige: Nach einer am Montag veröffentlichten repräsentativen forsa-Umfrage rutscht rund der Hälfte der Eltern in Deutschland bei der Erziehung noch immer die Hand aus.
Anders als früher schlagen die meisten Mütter oder Väter aber nicht aus Überzeugung zu, sondern aus Hilflosigkeit. Den Großteil der Eltern packt danach das schlechte Gewissen.

"Und dann möchtest Du den kleinen Trotzbrocken am liebsten an die Wand werfen!", schreibt eine verzweifelte Mutter in einem Blog. Welche Eltern kennen dieses Gefühl nicht? Es gab Ärger im Job, niemand hatte Zeit für die Hausarbeit und dann wirft sich das dreijährige Söhnchen heulend auf den Boden und schlägt nach jedem, der sich nähert. Nicht allen Müttern und Vätern gelingt es, sich in einer solchen Situation zu beherrschen - unabhängig von der Bildungsschicht. Als häufigste Gründe für Schläge nennen Eltern Unverschämtheit, Ungehorsam und Aggressivität ihrer Kinder.

"Eltern schlagen heute fast immer aus Stress und Hilflosigkeit, aber kaum noch, weil sie glauben, ihrem Kind damit etwas Gutes zu tun", sagt Gewaltforscher Kai Bussmann, Professor für Strafrecht an der Universität Halle. Seit dem Jahr 2000 hat das Bürgerliche Gesetzbuch für Deutschland deutliche Regeln festgeschrieben: "Kinder haben ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung". Nach Angaben des Deutschen Kinderschutzbundes stimmen diesem Grundsatz inzwischen auch über 90 Prozent der Eltern zu.

Doch erst ein gutes Drittel schaffe es, sich auch konsequent daran zu halten. Die Mehrheit greife zu leichten körperlichen Strafen von spürbarem Klaps bis Ohrfeige. Nur eine Minderheit von rund 14 Prozent erzieht nach einer Analyse der Kinderschützer noch mit einer schmerzhaften Tracht Prügel - oder gar mit Stockschlägen.

In der neuen Umfrage für die Zeitschrift Eltern bekennen sich vier Prozent der Mütter und Väter zu harten Körperstrafen wie "Hintern versohlen". Vor fünf Jahren waren es noch sechs Prozent. Strafen wie ein Schlag auf den Po gingen um sechs Prozent, Ohrfeigen um ein Prozent zurück. Eine Rolle spielt aber immer auch das Leben der Eltern. Wer früher selbst geschlagen wurde, haut eher zu.

Nach der jüngsten Studie werden Jungen häufiger geschlagen als Mädchen, was forsa-Forscher als Nachwirkung traditioneller Rollenvorstellungen werten. In großen Familien verteilen Eltern deutlich mehr Ohrfeigen als bei Einzelkindern - was mit mehr Stress in einer kinderreichen Familie zu tun haben könnte.

In Westeuropa liegt Deutschland mit diesen Quoten im Mittelfeld: In Deutschland wird weniger geschlagen als in Frankreich, das Körperstrafen bei Kindern noch nicht mit einem Gesetz ächtet, aber deutlich mehr als in Schweden, das bereits 1979 das Recht auf gewaltfreie Erziehung festschrieb. In ganz Skandinavien führte das mit der Zeit zu einem Gesellschaftswandel. Darauf hoffen auch die deutschen Kinderschützer.

"Gesetze ändern das Bewusstsein", sagt Oliver Steinbach, Vize-Chefredakteur der Zeitschrift Eltern zu den Ergebnissen der Umfrage. Besonders positiv sei, dass es Eltern nach dem Schlagen ihrer Kinder nicht bessergehe, sondern eher schlechter. Viele entschuldigten sich inzwischen bei ihren Kindern. Über die Hälfte der Eltern glaubt ohnehin nicht, dass Schläge Wirkung zeigen. Das sagen auch Psychologen: Körperstrafen weckten Trotz und Widerstand. Und Kinder lernten, dass Gewalt als Mittel der Konfliktlösung zulässig sei. Mit dieser Erfahrung gingen sie dann auf den Spielplatz.

Interviewer haben auch mehr als 700 Kinder befragt - allerdings nicht nach Gewalterfahrungen, sondern nach ihrem Blick auf die Welt. Die sieht nicht nur rosig aus, auch wenn 91 Prozent Mama und Papa für die besten Eltern der Welt halten. 70 Prozent der Kinder glauben, dass es viele Erwachsene gibt, die keine Kinder mögen und sich von ihnen gestört fühlen. Und 60 Prozent wünschen sich, möglichst schnell erwachsen zu sein. Zu einem kinderfreundlichen Land hat Deutschland damit wohl noch einen längeren Weg vor sich.

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